Der erste Schnee fiel in dichten, lautlosen Flocken ĂŒber Falkenstein. Er legte sich ĂŒber DĂ€cher, Felder und die alten Kopfsteinpflasterwege, als wolle er die Welt neu beginnen lassen. Im Klassenzimmer der Schule saĂ Tina an ihrem Tisch und starrte auf die Uhr ĂŒber der Tafel. Noch zwölf Minuten. Der Zeiger kroch so langsam, dass sie fast schwören konnte, er bleibe stehen, nur um sie zu Ă€rgern. DrauĂen vor dem Fenster jagten sich Schneeflocken, mal kreiselnd, mal taumelnd â als hĂ€tten sie es eilig, den Boden zu erreichen.
Tina seufzte leise. Seit Tagen wartete sie auf diesen Moment: Heute wĂŒrde Melly ankommen. Ihre Freundin aus dem Norden â fröhlich, quirlig, mit einem unerschĂŒtterlichen Sinn fĂŒr kleine Abenteuer â wĂŒrde die Weihnachtsferien auf dem Martinshof verbringen. Zum ersten Mal wĂŒrden sie Weihnachten gemeinsam erleben: ohne Handy, ohne Stadt, dafĂŒr mit Pferden, Kerzenlicht und dem Geruch von Heu.
WĂ€hrend der Lehrer vorne ĂŒber Zahlenreihen sprach, wanderte Tinas Blick zu ihrer Schultasche. Darin lag, gut versteckt in einer kleinen Tasche, ein silbernes Glöckchen. Es war kaum gröĂer als ein Daumen, aber wenn man es schĂŒttelte, klang es wie die ferne Stimme eines Sterns. Bibi hatte es ihr im letzten Winter geschenkt, nach dem groĂen Adventsritt durch den verschneiten Wald. Damals hatte Bibi gesagt:
Bibi: "Das ist ein GlĂŒcksglöckchen. Wenn duâs brauchst, klingeltâs von allein."
Tina lĂ€chelte bei dem Gedanken. NatĂŒrlich glaubte sie nicht wirklich, dass das Glöckchen zaubern konnte â aber irgendwie fĂŒhlte es sich trotzdem magisch an.
Ein kalter WindstoĂ fegte gegen die Scheibe, und ein paar Schneeflocken blieben daran kleben. Sie sahen aus wie kleine Blumen, die nur fĂŒr einen Atemzug blĂŒhten. Tina trĂ€umte sich hinaus auf den Martinshof, wo Amadeus im Stall scharrte, wo Sabrina ungeduldig auf Bibi wartete, wo der Rauch aus dem Schornstein stieg und Frau Martin sicher schon Zimtsterne buk. Noch sieben Minuten. Noch sechs.
Die Lehrerin drehte sich um und lĂ€chelte mĂŒde: Lehrerin: "Tina, magst du die letzte Aufgabe noch lösen?" Tina zuckte hoch, errötete leicht, schrieb hastig etwas an die Tafel â und merkte gar nicht, dass sie den Kreidestaub auf ihrer Nase verteilte. Ein paar MitschĂŒler kicherten, aber Tina grinste nur. Bald war sie frei. Bald begann die schönste Zeit des Jahres.
Dann endlich: das LĂ€uten der Schulglocke. Ein Ruck ging durch den Raum. StĂŒhle kratzten, Hefte klappten zu, Stimmen fĂŒllten die Luft. Tina stopfte ihre BĂŒcher in die Tasche, warf sich den Mantel ĂŒber und lief hinaus â hinunter die Treppen, hinaus in das blendende WeiĂ. Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, und die Luft war so kalt, dass sie ihr in der Nase brannte â doch sie fĂŒhlte sich lebendig, frei und leicht.
Sie schob ihr Fahrrad aus dem StĂ€nder. Die Reifen gruben schmale Spuren in das unberĂŒhrte WeiĂ. Ăberall roch es nach Winter und Holzrauch, nach Anfang. Als sie losfuhr, klirrte in ihrer Tasche das kleine Glöckchen â leise, als hĂ€tte es sie verstanden.
Tina: "Na, dann wollen wir mal, kleines GlĂŒcksding."
Sie lachte, trat krĂ€ftiger in die Pedale und fuhr los â hinaus aus der Stadt, den Weg hinunter zum Bahnhof, wo der Zug aus Hamburg bald einrollen wĂŒrde. Ăber den DĂ€chern von Falkenstein hingen die Wolken schwer,
Der Himmel ĂŒber Falkenstein hatte seine Farbe verloren â ein stilles, frostiges Grau, das sich ĂŒber DĂ€cher und Felder legte. Tina schob ihr Fahrrad ĂŒber den gepflasterten Schulhof. Ihre Finger waren kalt, aber ihr Herz klopfte vor Aufregung. Heute wĂŒrde Melly ankommen, ihre Freundin aus dem Norden. Seit Tagen hatte sie die Minuten gezĂ€hlt.
Sie schwang sich auf den Sattel, fuhr los, vorbei an schneebedeckten BĂ€umen und ZĂ€unen. Jeder Atemzug wurde zu einer kleinen Wolke, die sofort vom Wind davongetragen wurde. In ihrer Manteltasche spĂŒrte sie das kleine Glöckchen. Sie griff danach und lieĂ es kurz erklingen.
Tina: "Na, kleines GlĂŒcksding, begleite mich schön. Heute kannst du zeigen, was du kannst."
Das Dorf lag still. Nur aus dem BĂ€ckerhaus wehte der Duft nach frischem Brot, und vom Schlosspark her hörte sie entferntes Lachen â die Stallknechte schaufelten Schnee. FĂŒr einen Moment hielt sie an und sah hinauf zum Schloss Falkenstein. In den Fenstern glomm goldenes Licht, und Rauch stieg trĂ€ge aus den Kaminen. Sie stellte sich vor, wie Alex drinnen am Kamin saĂ und PlĂ€ne fĂŒr den Lichterritt schmiedete.
Sie lachte leise, trat wieder in die Pedale und summte ein Weihnachtslied. Der Wind griff die Melodie auf und trug sie ĂŒber die Felder. Zwischen den Flocken meinte sie wieder das helle Klingen des Glöckchens zu hören â als wĂ€re es eine Antwort auf ihre Gedanken.
Der Weg zum Bahnhof fĂŒhrte am gefrorenen See vorbei. Auf dem Eis rutschten Kinder umher, ihre Rufe klangen wie kleine Glocken. Einer winkte, Tina winkte zurĂŒck. Sie erinnerte sich daran, wie sie frĂŒher mit Bibi hier Schlittschuh gefahren war, bis Bibi versehentlich den Schnee pink glitzern lieĂ.
Bibi: "Ups! Nur ein ganz kleines Glitzerhexlein!"
Frau Martin hatte eine Woche gebraucht, um das wieder zu normalisieren. Tina grinste bei der Erinnerung und fuhr weiter. Hinter ihr blieb das Ortsschild von Falkenstein zurĂŒck; vor ihr lag der Bahnhof, eingehĂŒllt in weiĂen Dunst. Der Lautsprecher kratzte: Der Zug aus Hamburg hatte zehn Minuten VerspĂ€tung.
Tina stellte das Fahrrad ab, blies in ihre HĂ€nde und sah den Schneeflocken zu, wie sie auf ihren Ărmel tanzten. Die Luft war klar, die Welt still â nur das entfernte Klirren einer Glocke begleitete sie.
Tina: "Dann hab ich ja noch Zeit, dich willkommen zu heiĂen, Winter."
Sie hob den Blick. Ăber den Schienen lag silbernes Licht, und in der Ferne glaubte sie, den Dampf des ankommenden Zuges zu sehen. Das Glöckchen in ihrer Tasche vibrierte leise, als wĂŒsste es, dass gleich etwas Schönes beginnen wĂŒrde.
Der Zug aus Hamburg rollte langsam in den kleinen Bahnhof von Falkenstein ein. Eine Dampfwolke hĂŒllte den Bahnsteig ein, Schnee wirbelte in der Luft. Tina stand mit geröteten Wangen da, die HĂ€nde tief in den Taschen ihres Mantels vergraben. Das silberne Glöckchen in ihrer Tasche klirrte leise, als wĂŒsste es, dass der Moment gekommen war.
Zwischen all den Reisenden tauchte plötzlich eine rote MĂŒtze auf â und ein fröhliches Lachen, das Tina sofort erkannte. Melly: "Tinaaa!" Noch ehe Tina antworten konnte, rannte Melly durch den Schnee, der Koffer wackelte hinter ihr her, und sie fielen sich mitten auf dem Bahnsteig in die Arme.
Tina: "Melly! Endlich bist du da!"
Melly: "Ich kannâs kaum glauben. Es sieht hier aus wie im MĂ€rchen!"
Tina: "Warte, bis du den Martinshof siehst â und Bibi erst!"
Sie lachten beide, und der Schnee legte sich auf ihre MĂŒtzen wie glitzernder Zucker. Ein leises Pfeifen kĂŒndigte an, dass der Zug wieder abfahren wĂŒrde, doch die beiden blieben stehen, sahen sich an und spĂŒrten, dass dieser Winter anders werden wĂŒrde als alle zuvor.
Sie zogen den Koffer durch den frisch gefallenen Schnee, der in der Abendsonne golden glitzerte. Ăberall war es still, nur ihre Schritte und das ferne LĂ€uten einer Glocke begleiteten sie. Melly: "Hörst du das?" Tina: "Ja ⊠das Glöckchen. Es klingelt wieder."
Der Weg vom Bahnhof zum Hof fĂŒhrte durch die Felder, wo die Spuren von Pferdehufen im Schnee gefroren waren. In der Ferne glomm ein Licht â das Stallfenster. Der Himmel war klar, die Sterne funkelten, und Melly blieb kurz stehen, um den Atem in der KĂ€lte tanzen zu sehen.
Melly: "Das ist so wunderschön hier. Ich hab das Meer gegen Schnee getauscht â und ich bereue nichts."
Tina: "Dann wirst du dich auf den Martinshof sofort verlieben."
Als sie die Einfahrt erreichten, war das Tor offen. Sabrina wieherte leise, Amadeus scharrte im Stall. Im KĂŒchenfenster brannte warmes Licht, und von drinnen klangen gedĂ€mpft Stimmen und das Klappern von Geschirr.
Tina: "Hörst du das? Das ist Frau Martin. Sie backt noch um diese Uhrzeit."
Melly: "Es riecht schon bis hier nach Vanille!"
Sie klopften den Schnee von den Schuhen, öffneten die schwere HolztĂŒr â und sofort umfing sie der Duft von GebĂ€ck und Kaminfeuer. Frau Martin stand am Tisch, die HĂ€nde im Teig, und sah auf. Frau Martin: "Da seid ihr ja endlich! Kommt rein, ihr beiden Frostbeulen!"
Bevor sie antworten konnten, polterte es drauĂen im Flur, und eine vertraute Stimme rief mit fröhlichem Lachen: Bibi: "Heia hussassa! Ich habâs gehört â ihr seid da!"
Sie stand in der TĂŒr, das Haar voller Stroh und ein breites Grinsen im Gesicht. Sabrina stupste sie von hinten an, und die drei MĂ€dchen brachen in GelĂ€chter aus. DrauĂen schneite es weiter, still und gleichmĂ€Ăig, als wolle der Winter selbst zuhören, wie die Freundinnen sich wiederfanden.
Das kleine Glöckchen klingelte noch einmal, ganz sanft. Und diesmal klang es nicht nach Zufall, sondern nach Willkommen.
Der Hof lag still im Schnee. Ăber den DĂ€chern stieg Rauch in dĂŒnnen Streifen auf, und jedes Fenster glomm warm im Licht. Melly blieb vor dem Tor stehen, atmete tief durch und sah ehrfĂŒrchtig auf die alten StallgebĂ€ude.
Melly: "Oh wow ⊠das ist also der Martinshof?"
Tina: "Genau â mein zweites Zuhause ⊠und hoffentlich bald auch deins."
Noch bevor sie klopfen konnten, öffnete sich die TĂŒr, und eine vertraute Stimme rief ihnen entgegen. Frau Martin: "Na endlich! Kommt rein, ihr seid ja halb erfroren!"
Drinnen war es wohlig warm. Der Duft von Zimt, Vanille und frisch gebackenem Brot hing in der Luft, und am Kamin prasselte ein Feuer. Ăber dem Tisch baumelte eine Girlande aus Tannenzweigen und getrockneten Orangenscheiben. Melly rieb sich die HĂ€nde und lĂ€chelte. Melly: "Hier riechtâs nach Weihnachten âŠ"
Tina: "Und warte, bis du den Stall siehst!"
Sie zogen die Stiefel aus, hĂ€ngten die MĂ€ntel an den Haken und folgten dem vertrauten Wiehern, das aus dem Stall drang. DrauĂen fiel der Schnee leise weiter, und im Licht der Laterne glitzerte jede Flocke wie ein winziger Stern.
Als sie die StalltĂŒr öffneten, empfing sie warme Luft â und ein heiteres Durcheinander. Sabrina schnaubte, Amadeus schlug mit dem Schweif, und zwischen Heuballen und Stallgabeln hörte man Summen und Rascheln. Dann tauchte ein Kopf mit strohverworrenem Haar auf.
Bibi: "Heia hussassa! Willkommen auf dem Martinshof!"
Sie hatte eine SchĂŒrze voller Stroh, die Nase leicht gerötet und ein breites Grinsen im Gesicht.
Melly: "Bibi â endlich lerne ich dich kennen!"
Bibi: "Und ich dich! Tina hat so viel erzĂ€hlt â du bist die mit dem endlosen Lachen, oder?"
Melly lachte tatsÀchlich, und der Stall schien sofort heller zu werden. Sabrina stupste sie neugierig an, wÀhrend Bibi sich den Strohhalm aus dem Haar zog.
Tina: "Was treibst du eigentlich schon wieder hier?"
Bibi: "Ich wollte nur ein bisschen weihnachtliche Stimmung hexen â aber Sabrina fandâs ohne Zauber schöner."
Frau Martin kam hinzu, klopfte sich die HĂ€nde an der SchĂŒrze ab und stellte drei Tassen Kakao auf die Futterkiste. Frau Martin: "Setzt euch kurz. Morgen wird viel zu tun sein â die Pferde mĂŒssen fĂŒr den Lichterritt vorbereitet werden."
Die MĂ€dchen nickten. DrauĂen begann der Abend zu sinken, und durch die Spalten des Stalls drang das orange Licht des Sonnenuntergangs. Das Glöckchen in Tinas Manteltasche klimperte leise, kaum hörbar â als wollte es sagen, dass hier, an diesem Ort, der Winter erst richtig begonnen hatte.
Melly: "Ich glaub ⊠das wird das schönste Weihnachten ĂŒberhaupt."
Bibi: "Na klar! Mit uns kann gar nichts schiefgehen â hex hex!"
Die Nacht legte sich still ĂŒber den Martinshof. DrauĂen glitzerte der Schnee im Mondlicht, und im Haus herrschte diese besondere Ruhe, die nur alte Höfe im Winter kennen. Vom Stall her hörte man hin und wieder ein zufriedenes Schnauben â Sabrina und Amadeus trĂ€umten vermutlich von den verschneiten Feldern.
Melly lag in ihrem Bett unter der DachschrĂ€ge. Die Balken knarrten leise, wenn der Wind ĂŒber das Dach strich, und der Geruch von Holz, Heu und ein bisschen Vanille hing noch in der Luft. Neben ihr tickte ein alter Wecker, und in der Ferne rauschte der Bach hinter dem Hof. Sie schloss die Augen und dachte an den Tag: an Tinas Freude, Bibis Lachen, und an das kleine Glöckchen, das in Tinas Tasche immer wieder leise gebimmelt hatte.
Plötzlich war da ein Laut. Kein Traum, kein Wind â nur ein einzelner, heller Ton, der die Stille durchbrach. Ganz sanft, wie ein winziges Lied aus Metall. Melly setzte sich auf, lauschte. Melly: "Tina ⊠hast du das gehört?"
Keine Antwort. Tina schlief tief, gleichmĂ€Ăig, den Kopf halb unter der Decke vergraben. Melly stand leise auf, zog ihre Jacke ĂŒber und öffnete vorsichtig die TĂŒr. Der Flur war dunkel, nur ein schmaler Streifen Mondlicht fiel durchs Fenster. Wieder erklang das Glöckchen â jetzt deutlicher. Es kam aus dem Stall.
Sie schlich die Treppe hinunter. Jeder Schritt knarrte. Im Flur hing Bibis Mantel, daneben Tinas Schal. Melly zog ihre Stiefel ĂŒber, öffnete die schwere TĂŒr und trat hinaus in die frostige Nacht.
Der Schnee knirschte unter ihren Sohlen. Ăber ihr funkelten Sterne, so klar, dass sie meinte, den Himmel atmen zu hören. Das Glöckchen klang nun ganz nah, fast als wĂŒrde es sie rufen. Der Stall stand offen, ein Licht brannte schwach in der Ecke.
Melly: "Hallo � Ist da jemand?"
Sabrina hob den Kopf und schnaubte, als wollte sie sagen: âAlles gut.â In der Luft lag kein Zauber â nur Ruhe. Und doch, irgendwo zwischen den Heuballen, glitzerte etwas Kleines. Melly ging nĂ€her. Auf einem alten Holzbrett lag Tinas Glöckchen, und daneben â ein zweites, fast identisches, nur etwas matter. Sie nahm es vorsichtig in die Hand. Es war warm.
Melly: "Das kann doch nicht sein �"
Eine vertraute Stimme ertönte hinter ihr, noch schlÀfrig, aber neugierig. Tina: "Was machst du denn hier unten?"
Melly drehte sich um, das Glöckchen in der Hand.
Melly: "Schau mal ⊠da sind jetzt zwei."
Tina: "Zwei? Aber ich hab nur eins!"
Bibi kam gĂ€hnend dazu, die Haare zerzaust, das Nachthemd mit Pferdemotiven. Bibi: "Was ist denn los? Habt ihr heimlich einen Glöckchenklub gegrĂŒndet?"
Sie beugte sich ĂŒber Mellys Hand und runzelte die Stirn.
Bibi: "Das ist aber seltsam. Das sieht aus wie deins, Tina â nur Ă€lter."
Tina: "Vielleicht gehört es zu dem alten Hof?"
Bibi: "Oder ⊠es ist hergeflogen. Hex hex!"
Das Glöckchen klimperte wieder, als wĂŒrde es kichern.
Bibi zuckte zusammen.
Bibi: "Okay, das war jetzt unheimlich ⊠aber auch ein bisschen cool."
Melly: "Vielleicht will es uns was zeigen."
Die drei sahen sich an. DrauĂen begann es wieder zu schneien, und der Wind trug ein fernes, fast vertrautes Lied ĂŒber die Felder. Das Glöckchen vibrierte in Mellys Hand â einmal, zweimal â dann wurde es still. Nur Sabrina schnaubte zufrieden, als wollte sie sagen: âAb ins Bett mit euch.â
Die MĂ€dchen lachten leise, stellten das neue Glöckchen neben das alte und schlossen die StalltĂŒr. Auf dem Weg zurĂŒck ins Haus fiel Melly ein, dass sie gar nicht mehr fror. Es war, als hĂ€tte der Winter sie freundlich aufgenommen.
Und oben im Dachzimmer, kurz bevor sie wieder einschlief, glaubte sie, das sanfte Bimmeln noch einmal zu hören â wie ein Gute-Nacht-GruĂ aus einer anderen Zeit.
Ein fahles Morgenlicht kroch ĂŒber die Felder, als der Hahn krĂ€hte. Ăberall lag noch Reif auf den ZĂ€unen, und der Schnee glitzerte wie Diamantstaub. Drinnen auf dem Martinshof roch es nach frischem Brot, nach Kaffee und nach Heu â dieser unverwechselbare Duft eines neuen Tages auf dem Land.
Melly war schon wach. Sie lag im Bett und starrte an die Balken der Decke, wĂ€hrend sich die Erinnerung an die Nacht in ihr sammelte: der Stall, das zweite Glöckchen, Bibis erstauntes Gesicht. Sie griff an den Nachttisch â dort lag es noch, neben einer kleinen Laterne. Es war matt und alt, aber irgendwie lebendig.
Melly: "Guten Morgen, du kleines RĂ€tsel."
Das Glöckchen antwortete nicht, natĂŒrlich nicht â aber fĂŒr einen Sekundenbruchteil hatte sie das GefĂŒhl, es hĂ€tte leise gezittert. Tina drehte sich im Bett um, gĂ€hnte verschlafen und blinzelte.
Tina: "Bist du etwa schon aufgestanden?"
Melly: "Ich konnte nicht schlafen. Ich hab nur ⊠nachgedacht."
Tina: "Ăber das Glöckchen?"
Melly: "Ja. Es fĂŒhlt sich an, als hĂ€tte es auf mich gewartet."
Bibi platzte wenig spĂ€ter mit wehenden Zöpfen ins Zimmer. Bibi: "Guten MorgÀÀÀÀhn! Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen â oder wenigstens spannende Glöckchenabenteuer erlebt!" Sie sah Melly an, dann das Glöckchen auf dem Nachttisch. Bibi: "Na, da ist es ja. Hab ichâs mir doch gedacht â es glĂŒht ein bisschen, oder?"
Tina sah genauer hin. Ein schwacher Schimmer zog sich tatsĂ€chlich ĂŒber die OberflĂ€che, kaum sichtbar im Tageslicht, eher wie ein Hauch von Mondglanz.
Tina: "Vielleicht ist es nur der Frost."
Bibi: "Oder ein ganz alter Zauber. Manche Dinge verlieren ihre Magie nicht â sie schlafen nur."
Melly: "Dann ist es jetzt wach?"
Bibi: "Vielleicht, weil duâs gefunden hast."
Frau Martin rief aus der KĂŒche, dass das FrĂŒhstĂŒck fertig sei. Die drei schlĂŒpften in ihre Pullover, lachten, als Bibis Haare elektrisch aufgeladen funkelten, und rannten die knarrende Treppe hinunter. Auf dem Tisch dampfte Kakao, Brötchen, Marmelade und frische Butter â ein kleines Festmahl im goldenen Licht der Morgensonne.
Frau Martin: "Ihr seht aus, als hÀttet ihr die ganze Nacht durchgeplaudert!"
Tina: "Fast ⊠es war einfach zu aufregend."
Melly: "Wir haben was gefunden. Im Stall."
Frau Martin: "Etwa noch ein Glöckchen?"
Sie setzte sich zu ihnen und betrachtete das FundstĂŒck neugierig.
Frau Martin: "Das sieht aus wie eins von den alten Hofglöckchen.
FrĂŒher hing so etwas an den Schlitten, wenn man durch den Schnee gefahren ist."
Tina: "Dann ist es also wirklich alt?"
Frau Martin: "Mindestens fĂŒnfzig Jahre, schĂ€tze ich."
Bibi grinste breit. Bibi: "Oder fĂŒnfzig Jahre und drei HexensprĂŒche alt!" Frau Martin lachte und tippte ihr auf die Nase. Frau Martin: "Kein Unsinn, kleine Hexe. Erst frĂŒhstĂŒcken, dann könnt ihr forschen."
Nach dem Essen gingen sie in den Stall. Die Pferde wieherten ihnen entgegen, und das Glöckchen in Mellys Hand klingelte wieder â diesmal heller als je zuvor. Sabrina hob den Kopf, als hĂ€tte sie den Ton erkannt, und Amadeus scharrte mit den Hufen.
Tina: "Hörst du das, Bibi? Sie reagieren drauf."
Bibi: "Dann gehört das Glöckchen vielleicht zum Hof ⊠oder zu ihnen."
Melly: "Vielleicht zu etwas, das noch fehlt."
Der Schnee vor dem Stall glitzerte im Sonnenlicht, und irgendwo in der Ferne schlug eine Kirchturmglocke. Der neue Tag begann â mit einem RĂ€tsel, das leise klang wie Hoffnung.
Die Sonne stand schon ĂŒber den Baumwipfeln, als der Martinshof langsam zum Leben erwachte. Hufe klackten ĂŒber das Kopfsteinpflaster, das Tor quietschte, und aus der KĂŒche wehte der Duft von Apfelkuchen. Bibi, Tina und Melly waren drauĂen und fegten den Hof frei, wĂ€hrend Sabrina im Hintergrund leise schnaubte.
Bibi: "Heia hussassa! Wenn wir so weitermachen, ist der Hof bis Weihnachten spiegelblank!"
Tina: "Dann glÀnzt er wenigstens, wenn der Graf vorbeikommt."
Melly: "Der Graf? Also ⊠der richtige Graf Falko?"
Tina nickte mit einem schelmischen Grinsen.
Tina: "Ganz genau. Er wohnt da oben im Schloss. Alex, sein Sohn, hilft uns manchmal beim Reiten oder bei den WettkÀmpfen."
Melly: "Und er kommt heute her?"
Bibi: "Na, wenn der Wind richtig steht, dann hört er das Glöckchen auch!"
Kaum hatte sie das gesagt, erklang in der Ferne Hufgetrappel. Drei Köpfe wandten sich gleichzeitig zur StraĂe. Im hellen Winterlicht kam ein Pferd den HĂŒgel hinab â elegant, mit einem Reiter, der in seinem Mantel aussah, als kĂ€me er geradewegs aus einem MĂ€rchen. Alex winkte ihnen zu.
Alex: "Guten Morgen! Ich dachte, ich seh mal nach, ob ihr schon eingeschneit seid."
Tina: "Wir haben ĂŒberlebt â und du kommst genau richtig!"
Melly: "Ich bin Melly, ĂŒbrigens!"
Alex: "Ah, die berĂŒhmte Besucherin aus dem Norden! Willkommen auf dem Martinshof."
Bibi grinste. Bibi: "BerĂŒhmt ist sie spĂ€testens seit letzter Nacht. Wir haben ein zweites Glöckchen gefunden!"
Alex zog eine Augenbraue hoch.
Alex: "Ein Glöckchen?"
Tina: "Ja â genau wie meins, nur Ă€lter."
Bibi: "Und es hat von ganz allein geklingelt."
Sie zeigten ihm das FundstĂŒck. Alex nahm es vorsichtig in die Hand, drehte es zwischen den Fingern, und fĂŒr einen Augenblick war alles still. Dann ertönte das leise, klare Bimmeln â so hell, dass selbst die Pferde die Ohren spitzten. Der Klang hallte ĂŒber den Hof und schien sich in der Winterluft zu verlieren.
Alex: "Seltsam ⊠das klingt genau wie die Glocken im Schlossturm."
Tina: "Im Turm?"
Alex: "Ja. Es gibt dort eine alte Glocke, die nur zu Weihnachten gelÀutet wird.
Vater sagt, sie sei aus dem gleichen Metall geschmiedet wie die Hofglöckchen."
Bibi blinzelte, ihre Augen funkelten neugierig.
Bibi: "Dann sollten wir uns die Glocke mal anschauen!"
Tina: "Du willst ins Schloss, ohne gefragt zu werden?"
Bibi: "Na ja, nur gucken! Hex hex und wir sind da!"
Melly lachte, wÀhrend Tina sie sanft anstupste.
Tina: "BloĂ nicht, Bibi. Wenn der Graf uns mitten im Wohnzimmer erwischt,
kannst du Weihnachten im Burgkeller feiern."
Bibi: "Och menno!"
Alex lĂ€chelte geheimnisvoll. Alex: "Ihr mĂŒsst gar nicht heimlich kommen. Vater lĂ€dt euch morgen sowieso ein â zum Tee im Schloss. Vielleicht kann er euch mehr ĂŒber euer Glöckchen erzĂ€hlen."
Die drei sahen sich an.
Melly: "Dann wissen wir vielleicht endlich, woher es kommt."
Bibi: "Oder wohin es gehört."
Tina: "Dann steht unser Plan fest â morgen gehtâs zum Schloss Falkenstein!"
DrauĂen zogen die Wolken auf, und die Sonne warf lange Schatten ĂŒber den verschneiten Hof. Das Glöckchen in Alexâ Hand schimmerte schwach, als wĂ€re es ein kleiner Teil dieser Geschichte, die sich langsam zu entfalten begann.
Der Morgen darauf brach klar und eisig an. Ăber Falkenstein lag ein blasser Winterhimmel, und auf den Feldern glitzerten die Schneekristalle wie feines Glas. Vom Martinshof aus konnte man schon die Silhouette des Schlosses sehen â stolz und still ĂŒber dem Tal, von Nebelstreifen umspielt.
Tina: "Na, seid ihr bereit fĂŒr einen königlichen Ausritt?"
Bibi: "Hex hex, und schon sitzen wir im Sattel!"
Melly: "Ich glaube, ich nehme lieber den normalen Weg â mein Pferd soll ja nicht gleich abheben!"
Sie lachten alle, als sich die Pferde in Bewegung setzten. Sabrina trabte vorneweg, Amadeus folgte gemĂ€chlich, und Melly ritt auf einem ruhigen braunen Wallach, den Bibi kurzerhand âPackaâ getauft hatte â einfach, weil er so gemĂŒtlich war.
Der Weg fĂŒhrte durch einen kleinen Wald. Ăber ihnen hingen vereiste Zweige, und hin und wieder fiel eine Schneelawine von den Ăsten, begleitet von Bibis Kichern. Bibi: "Siehst du, das ist Naturhexerei â völlig ohne Zauberspruch!"
Als sie aus dem Wald kamen, öffnete sich der Blick auf das Schloss. Es thronte auf einem HĂŒgel, umgeben von verschneiten GĂ€rten und einer Allee aus gefrorenen Linden. Der groĂe Turm ragte wie eine silberne Kerze in den Himmel, und irgendwo dort oben, das wusste Tina, hing die alte Glocke, von der Alex gesprochen hatte.
Melly: "Das ist also Schloss Falkenstein ⊠wow. Es ist noch viel gröĂer, als ichâs mir vorgestellt hab."
Tina: "Und drinnen ist es noch schöner. Wartâs ab."
Bibi: "Wenn man nicht gerade in der KĂŒche landet, weil man aus Versehen das falsche Fenster hexhex öffnet!"
Vor dem Tor wartete bereits Alex, warm eingepackt in einen dunkelblauen Mantel.
Alex: "Da seid ihr ja! Ich hab euch schon von weitem gesehen.
Ihr habt das beste Wetter erwischt â Vater freut sich schon auf euren Besuch."
Tina: "Dann wollen wir mal höflich sein und nicht gleich im Schnee stĂŒrzen."
Melly: "Oder Bibi hexhex durch die EingangstĂŒr fliegen lassen."
Bibi: "Was denn, das wÀr doch zeitsparend!"
Sie ĂŒbergaben die Pferde dem Stallknecht und folgten Alex durch das schwere Tor. Der Innenhof lag still, nur das Knirschen des Schnees unter ihren Stiefeln war zu hören. Ăberall hingen Eiszapfen, die im Sonnenlicht funkelten wie kleine Kronen.
Alex: "Kommt, ich zeig euch den Turm. Aber leise â Vater hat eine Sitzung mit dem BĂŒrgermeister."
Bibi: "Dann hex ich einfach, dass wir flĂŒstern wie Schneeflocken â hex hex!"
Tina: "Bibi!"
Sie stiegen die Wendeltreppe hinauf. Es roch nach altem Stein und kaltem Metall, und das Licht fiel durch schmale Fenster auf die Stufen. Ganz oben angekommen, öffnete Alex die schwere HolztĂŒr, und dort hing sie â die groĂe Glocke des Schlosses.
Ihr Metall schimmerte altgolden, und an einer Seite war ein kleiner Riss zu sehen,
fein wie eine Spinnwebenlinie.
Direkt darunter lag ein Holztisch, auf dem ein verstaubtes Buch lag.
Alex: "Hier steht, sie wurde vor vielen Jahren gegossen â
angeblich aus dem Metall eines alten Hofglöckchens."
Tina: "Dann könnte deins, Melly, aus der gleichen Schmiede stammen."
Bibi: "Oder es will uns zu der Glocke fĂŒhren!"
Melly trat nĂ€her. Das kleine Glöckchen in ihrer Tasche vibrierte leicht, als wĂŒrde es den Klang der groĂen Glocke spĂŒren. Und dann â ganz leise â erklang ein einzelner Ton. Kein Wind, kein Echo â ein echter, klarer Klang.
Melly: "Habt ihr das gehört?"
Tina: "Ja ⊠es hat geklingelt."
Alex: "Aber niemand hat sie berĂŒhrt."
Bibi: "Dann warâs das kleine! Das groĂe hat geantwortet!"
Sie sahen sich an, und einen Moment lang war alles still. DrauĂen fiel Schnee vom Dach, der Wind rauschte durch die Allee, und irgendwo tief im Schloss antwortete ein zweites, kaum hörbares Klingen. Es klang, als hĂ€tte eine Geschichte gerade erst begonnen.
Sie standen noch immer oben im Glockenturm, als unten Schritte hallten. Eine TĂŒr öffnete sich, und ein warmer, tiefer Klang fĂŒllte den Raum. Der Graf selbst trat ein â hoch gewachsen, in einen dunkelgrĂŒnen Mantel gehĂŒllt, der leicht mit Schnee bestĂ€ubt war. Seine Augen funkelten freundlich, doch auch ein wenig nachdenklich.
Graf Falko: "Ah, da seid ihr also. Ich hÀtte mir denken können,
dass das Klingen nicht von allein kam."
Alex: "Vater! Sie wollten sich die Glocke nur ansehen â das Glöckchen von Tina und Melly klingt genauso."
Der Graf trat nĂ€her, legte die Hand auf das alte Metall. FĂŒr einen Moment schien der ganze Turm still zu werden, selbst der Wind hielt den Atem an. Graf Falko: "Dieses GelĂ€ut ⊠man sagt, es ruft nicht den Menschen, sondern den Mut in seinem Herzen."
Bibi: "Das klingt wie aus einem alten MĂ€rchen!"
Tina: "Gab es wirklich mal eine Geschichte dazu?"
Graf Falko: "Oh ja â und sie ist Ă€lter als das Schloss selbst."
Er setzte sich auf den steinernen Sims am Fenster. DrauĂen rieselte leise Schnee, und sein Blick ging hinaus ĂŒber das Tal. Graf Falko: "Vor vielen, vielen Jahren â als es hier noch keinen Strom, keine StraĂen gab â lebte auf dem Martinshof ein junges MĂ€dchen. Sie hieĂ Lina. Sie hatte zwei Pferde, die sie ĂŒber alles liebte. Jeden Winter fuhr sie mit einem Schlitten in die Stadt, um den Menschen Brot und Holz zu bringen."
Graf Falko: "Eines Nachts kam ein Sturm. Der Schnee fiel so dicht, dass niemand mehr den Weg erkennen konnte. Die Leute sagten spĂ€ter, man habe nur noch das LĂ€uten ihrer kleinen Glocke gehört â hell und tapfer, bis sie im Wind verstummte."
Melly hielt den Atem an, ihre Hand lag unbewusst auf ihrem Glöckchen.
Melly: "Und ⊠was ist mit ihr passiert?"
Graf Falko: "Man fand am Morgen nur den Schlitten,
halb eingeschneit, und zwei Pferde, die sicher im Stall standen.
Die Glocke aber war verschwunden.
Wochen spĂ€ter tauchte sie hier im Turm auf â
an einem Seil aus neuen Fasern, obwohl niemand sie aufgehÀngt hatte."
Bibi: "Dann ist das also ⊠ihre Glocke?"
Graf Falko: "Vielleicht.
Seitdem heiĂt es, wenn sie von selbst erklingt, ist jemand auf dem richtigen Weg."
Stille legte sich ĂŒber den Raum. DrauĂen zog Nebel vom Wald herauf, und der Schnee fiel wieder dichter. Tina sah zu Melly â das kleine Glöckchen in ihrer Tasche vibrierte leicht, als bestĂ€tige es jedes Wort des Grafen.
Tina: "Dann ⊠hat es uns vielleicht gerufen."
Bibi: "Und wer weiĂ, wohin es uns noch fĂŒhrt."
Melly: "Vielleicht dorthin, wo die Geschichte geendet hat â damit sie weitergehen kann."
Der Graf nickte langsam. Graf Falko: "Ihr habt mehr Mut, als ihr denkt. Und ich habe das GefĂŒhl, dieses Weihnachten wird Falkenstein nicht so schnell vergessen."
Als sie spĂ€ter den Turm verlieĂen, wehte der Wind durch die Bögen des Schlosses. Ein letztes Mal erklang das leise, helle Bimmeln â nicht laut, aber klar. Es klang, als hĂ€tte Lina selbst ihnen zugehört.
Der Nachmittag neigte sich, als sie das Schloss verlieĂen. Die Sonne stand tief und tauchte die verschneiten HĂŒgel in ein sanft goldenes Licht. Ăberall glitzerte es, und ihre Atemwolken stiegen wie kleine Wölkchen in die klare Luft. Der Weg hinab nach Falkenstein war still â nur das Knirschen der Hufe unterbrach die Ruhe.
Bibi: "Also ehrlich â wenn ich so eine Geschichte gehört hĂ€tte,
wÀr ich als Hexe wahrscheinlich sofort losgeflogen, um diese Lina zu finden."
Tina: "Bibi, die Geschichte ist hundert Jahre alt."
Bibi: "Na und? Manche Geheimnisse warten einfach lÀnger!"
Melly: "Vielleicht wartet dieses ja auf uns."
Sie ritten eine Weile schweigend weiter. Unter ihnen rauschte der Bach, und am Waldrand sah man schon die Lichter des Martinshofs blinken. Da blieb Melly plötzlich stehen.
Melly: "Seht ihr das?"
Im Schnee, kaum zwanzig Meter entfernt, verliefen seltsame Spuren. Zwei tiefe Rillen, als hĂ€tte jemand einen schweren Schlitten gezogen. Doch das Komische war: Die Spuren fĂŒhrten bergauf â direkt in den Wald. Und sie sahen frisch aus.
Tina: "Hier ist heute niemand entlanggeritten."
Alex: "Und bei dem Frost wĂŒrde man jede alte Spur erkennen â
die hier ist neu."
Bibi: "Uii, das wird ja immer spannender! Soll ichâs verfolgen? Ich hex uns warm!"
Tina: "Nein, Bibi! Keine Hexerei â wir wollen ja nicht, dass der Graf morgen wieder böse guckt."
Bibi schnaubte beleidigt, grinste dann aber und zĂŒckte ihre Taschenlampe. Die drei stiegen ab und folgten den Spuren zu FuĂ. Sie fĂŒhrten in eine kleine Senke hinter dem Schlosspark, wo die BĂ€ume eng beieinander standen und der Schnee den Boden wie Watte bedeckte.
Je weiter sie gingen, desto stiller wurde es. Kein Wind, kein Vogel, kein Laut â nur das Knirschen ihrer Schritte. Dann endeten die Rillen abrupt vor einem umgestĂŒrzten Baum. Davor â eine Vertiefung, halb zugeschneit. Melly kniete sich hin, pustete den Schnee beiseite.
Melly: "Hier lag was ⊠siehst du das Muster?"
Alex: "Wie die Spur eines alten Kutschrades."
Bibi: "Oder eines Schlittens!"
Das Glöckchen in Mellys Tasche klingelte. Ganz leise, kaum hörbar â aber deutlich. Der Ton hallte im stillen Wald, glitt zwischen den Zweigen und verlor sich irgendwo ĂŒber ihren Köpfen.
Tina: "Es reagiert wieder."
Melly: "Genau hier âŠ"
Bibi: "Dann sind wir auf Linas Spuren!"
Alex sah nachdenklich auf die Vertiefung. Alex: "Mein Vater hat erzÀhlt, man habe damals in dieser Gegend ihren Schlitten zuletzt gesehen. Vielleicht ist das hier die Stelle."
Bibi blinzelte, und fĂŒr einen Moment schwor Melly, dass sich ein feiner Schimmer um das alte Holz legte â als wĂŒrde die Luft selbst kurz glĂŒhen. Doch als sie noch einmal hinsah, war alles wieder normal.
Bibi: "Na toll. Ich schwör, da war was!"
Tina: "Vielleicht nur Schnee, Bibi."
Bibi: "Oder ein kleiner Hauch Magie, wer weiĂ!"
Melly berĂŒhrte das Glöckchen in ihrer Manteltasche. Es war warm. Und irgendwo tief in ihrem Inneren wusste sie, dass dies erst der Anfang war â dass der Schnee selbst vielleicht noch mehr wusste als jeder Mensch in Falkenstein.
Der nĂ€chste Morgen brachte milden Sonnenschein ĂŒber den verschneiten Martinshof. Die DĂ€cher glitzerten, und aus dem Kamin stieg Rauch, wĂ€hrend Bibi, Tina, Melly und Alex am FrĂŒhstĂŒckstisch saĂen. Frau Martin stellte eine Kanne dampfenden Kakao auf den Tisch, wĂ€hrend Sabrina drauĂen ungeduldig mit den Hufen scharrte.
Bibi: "Also, wenn du mich fragst â das war Linas Schlitten, hundertprozentig!"
Tina: "Aber der ist ĂŒber hundert Jahre alt, Bibi."
Bibi: "Na und? Schnee konserviert! Vielleicht warâs ein Zauberschlitten."
Melly: "Oder einfach ein Zeichen. Das Glöckchen hat uns genau dorthin gefĂŒhrt."
Alex: "Ich hab gestern Abend mit Vater gesprochen. Er meint, irgendwo auf dem Schloss mĂŒsste es noch alte Aufzeichnungen geben â vielleicht sogar aus der Zeit, als Lina lebte."
Tina legte begeistert ihre Tasse ab.
Tina: "Dann sollten wir suchen gehen!"
Bibi: "Hex hex, und das Schlossarchiv steht Kopf!"
Tina: "Oh nein, Bibi, bitte nicht wieder hexen! Wir machen das ganz normal."
Nach dem FrĂŒhstĂŒck ritten sie zum Schloss hinauf. Im groĂen Foyer hallten ihre Schritte, und Alex fĂŒhrte sie ĂŒber die gewundene Treppe in die obere Etage. Hinter einer alten HolztĂŒr verbarg sich ein Raum voller Regale, BĂŒcher und Kisten â das Archiv.
Alex: "Hier lagert alles, was mit Falkenstein zu tun hat.
Briefe, Rechnungen, Karten, Geschichten ⊠sogar alte StallbĂŒcher."
Melly: "Das ist ja wie eine Zeitmaschine."
Bibi: "Oder wie ein Hexenmuseum â nur ohne Hexen!"
Der Staub glitzerte im Licht, das durch die Fenster fiel. Ăberall roch es nach altem Papier, Wachs und vergangenem Leben. Melly strich mit den Fingern ĂŒber die BuchrĂŒcken und blieb an einer Kiste hĂ€ngen, die halb unter einem Tisch stand. Auf dem Deckel stand mit verblasster Tinte: **âMartinshof 1872 â Winterberichteâ**.
Melly: "Seht mal ⊠das hier gehört vielleicht zu Lina."
Gemeinsam öffneten sie den Deckel. Drinnen lagen vergilbte Seiten, sorgfĂ€ltig gebunden, und ein kleines, in Leder eingeschlagenes Buch. Die erste Seite trug einen Namen: *âLina Martinâ*.
Tina: "Das ist sie!"
Bibi: "Oh wow, echtes Abenteuer! Lies mal vor, Melly!"
Melly blÀtterte vorsichtig. Die Schrift war geschwungen, altmodisch, aber lesbar. Sie las laut:
Melly: "âDer Schnee fĂ€llt dicht, und die Wege sind still. Ich bringe Brot ins Dorf, bevor der Sturm kommt. Meine Pferde sind stark, und die Glocke am Schlitten klingt, als wollte sie mir Mut machen. Wenn sie aufhört zu lĂ€uten, weiĂ ich, dass ich mich verirrt habe.â"
Eine GĂ€nsehaut lief ihnen ĂŒber den RĂŒcken.
Bibi: "Das klingt, als hĂ€tte sieâs gewusst."
Tina: "Sie muss wirklich mutig gewesen sein."
Alex: "Mein Vater sagt immer, Mut klingt wie ein Glockenton,
den nur wenige hören können."
Melly blĂ€tterte weiter. Auf der letzten Seite war ein Satz mit zittriger Hand geschrieben: *âWenn der Schnee mein Lied trĂ€gt, findet ihr den Weg.â*
Melly: "âWenn der Schnee mein Lied trĂ€gt, findet ihr den Wegâ âŠ
Was meint sie damit?"
Bibi: "Vielleicht ist der Schnee selbst der Hinweis!"
Tina: "Oder der Wind ⊠oder die Glocke, die ihr Lied weitersingt."
DrauĂen begann es wieder zu schneien. Die Flocken prallten sanft gegen die Fensterscheiben, und das kleine Glöckchen in Mellys Manteltasche vibrierte leicht. Es war, als antworte es auf die Worte aus dem Buch.
Alex: "Ich glaube, Lina wollte uns etwas hinterlassen. Vielleicht mehr als nur eine Geschichte."
Sie sahen sich alle an. Niemand sagte etwas. Nur der Schnee fiel, leise und stetig â wie eine Melodie, die man fast hören konnte, wenn man nur still genug war.
Am nĂ€chsten Morgen hing Nebel ĂŒber den Feldern, so dicht, dass selbst der Martinshof wirkte, als wĂ€re er in Watte gepackt. Die Welt war still â kein Vogel, kein Wind, nur das Knirschen ihrer Stiefel im Schnee, als Bibi, Tina, Melly und Alex sich auf den Weg machten.
In Mellys Tasche lag das kleine Glöckchen, und bei jedem Schritt vibrierte es ein wenig â als wollte es den Weg weisen, den sie gehen sollten.
Tina: "Wenn Lina schrieb, dass der Schnee ihr Lied trÀgt,
dann meinte sie vielleicht diesen Wald hier."
Melly: "Ich hab das GefĂŒhl, das Glöckchen kennt den Weg."
Bibi: "Na, dann mal los â Glöckchen, voran! Heia hussassa!"
Sie lachten leise, doch als sie tiefer in den Wald gingen, verĂ€nderte sich die Stimmung. Die GerĂ€usche wurden gedĂ€mpft, und das Licht fiel in blassen Streifen durch die verschneiten Ăste. Es war nicht unheimlich â eher ehrfĂŒrchtig, als hĂ€tte der Wald selbst seine eigene Geschichte zu erzĂ€hlen.
Alex: "Hier kommt selten jemand her.
Nur Förster Krause, um die Wege freizuhalten."
Bibi: "Dann ist das ja perfekt fĂŒr ein Geheimnis!"
Tina: "Oder fĂŒr ein verlorenes Lied."
Nach einer Weile blieb Melly stehen. Sie spĂŒrte, wie das Glöckchen in ihrer Tasche warm wurde â nicht heiĂ, aber deutlich spĂŒrbar. Ein leiser Ton erklang, klar und rund, als hĂ€tte jemand in der Ferne eine kleine Glocke gelĂ€utet.
Melly: "Da! Habt ihr das gehört?"
Bibi: "Ich hab nix gemacht, ehrlich!"
Tina: "Es kam von da drĂŒben â hinter den Tannen."
Sie folgten dem Klang. Der Nebel lichtete sich ein wenig, und zwischen den BĂ€umen tauchte eine kleine Lichtung auf. In der Mitte stand ein alter Steinbrunnen, halb zugeschneit, das Moos darunter schimmerte grĂŒnlich.
Alex: "Das ist der alte Waldbrunnen.
Er wird schon seit Generationen nicht mehr benutzt."
Bibi: "Vielleicht hat Lina hier Rast gemacht, als sie im Sturm war."
Melly: "Oder hier klang ihr Lied zuletzt."
Melly ging nĂ€her heran. Der Schnee knirschte, als sie vorsichtig zum Brunnen trat. Sie beugte sich ĂŒber den Rand â kein Wasser, nur Eis. Und doch hörte sie etwas. Ein feines, klingendes Summen â tief unten, fast wie ein Echo.
Melly: "Es singt ⊠hört ihr das?"
Tina: "Ich hörâs auch."
Bibi: "Das ist ja verrĂŒckt!"
Alex: "Vielleicht ist da unten etwas eingefroren."
Bibi kniff die Augen zusammen.
Bibi: "Ich könnte ja kurz reinschauen â ein Mini-Schneeflockenblick-Hexlein!"
Tina: "Bibi, versprich mir, dass du nichts sprengst!"
Bibi: "Ich spreng nie was! ... Meistens."
Sie hob den Besen leicht an, murmelte einen Spruch, und ein silberner Funke glitt in den Brunnen hinab. Unten im Eis leuchtete etwas auf â rund, metallisch. Eine Form, kaum sichtbar, aber deutlich: ein weiteres Glöckchen.
Melly: "Ein drittes âŠ!"
Alex: "Dann gibt es also mehrere."
Tina: "Und sie sind verbunden."
Bibi: "Na, wenn das keine Spur ist, dann weiĂ ichâs auch nicht!"
Melly kniete sich hin und legte ihre Hand auf das Eis. Das Glöckchen unter der gefrorenen Schicht glomm sanft, als wĂŒrde es sie begrĂŒĂen. Ihr eigenes in der Tasche antwortete mit einem hellen, kurzen Klang.
FĂŒr einen Moment war alles erfĂŒllt von einem harmonischen Ton, der durch den Wald vibrierte â wie Musik, die man nicht nur hörte, sondern spĂŒrte. Und als der Klang verklang, sahen sie auf der OberflĂ€che des Eises eine feine Gravur erscheinen: **âFinde die vier Stimmen.â**
Bibi: "Vier Stimmen? Dann fehlen noch zwei!"
Melly: "Oder drei â wir wissen ja nicht, wie viele es wirklich gibt."
Tina: "Aber eins steht fest: Das hier ist kein Zufall."
Der Wind fuhr durch die Ăste, und Schneeflocken tanzten im Kreis um den Brunnen. Es war, als nicke der Winter selbst ihnen zu â leise, zustimmend, wie ein WĂ€chter der alten Geschichte.
Und irgendwo weit oben, vielleicht vom Schloss her, antwortete eine Glocke mit einem einzelnen Ton.
Auf dem RĂŒckweg vom Wald lag der Schnee weich und unberĂŒhrt, und der Himmel fĂ€rbte sich langsam rosig ĂŒber den HĂŒgeln. Der Tag war still, als hielte selbst der Wind den Atem an, weil etwas Neues begonnen hatte. In Mellys Manteltasche ruhte das Glöckchen, warm und sanft vibrierend, wie ein Herzschlag aus Metall.
Melly: "âFinde die vier Stimmenâ ⊠das klang fast wie ein RĂ€tsel."
Tina: "Oder wie ein Liedtitel."
Bibi: "Na dann, Musik an â wir sind schlieĂlich die Glöckchenband von Falkenstein!"
Alex: "Bibi, das war bestimmt poetisch gemeint, nicht musikalisch."
Sie lachten, aber tief in ihrem Inneren wussten sie, dass es eine Bedeutung hatte. Als sie den Martinshof erreichten, war der Himmel bereits im Abendlicht, und der Stall roch nach frischem Heu und WĂ€rme. Frau Martin stellte gerade Futter bereit, und Sabrina wieherte leise, als wĂŒrde sie die vier willkommen heiĂen.
Frau Martin: "Da seid ihr ja endlich!
Ihr seht aus, als hĂ€ttet ihr den ganzen Wald umgepflĂŒgt."
Tina: "Fast. Wir haben etwas gefunden â oder besser gesagt, gehört."
Sie erzĂ€hlten ihr von der Gravur, vom Klang im Brunnen und vom Schimmer im Eis. Frau Martin runzelte die Stirn und sah einen Moment schweigend hinaus in den Schnee. Frau Martin: "Vier Stimmen ⊠hm. FrĂŒher hat man gesagt, dass die Pferde den Winter zuerst hören. Vielleicht solltet ihr auf sie achten."
Bibi: "Na, dann hören wir mal gut hin."
SpĂ€ter am Abend, als der Hof still wurde, gingen sie in den Stall. Nur das sanfte Rascheln des Strohs war zu hören, und das gleichmĂ€Ăige Atmen der Pferde. Sabrina hob den Kopf, als sie die MĂ€dchen sah, und Amadeus stupste Tina sanft mit der NĂŒstern.
Tina: "Hey, mein GroĂer. Na, wie war dein Tag?"
Bibi: "Schau, Melly â er bewegt die Ohren. Ich schwöre, er hört was!"
Melly: "Oder er hört das Glöckchen."
Melly nahm das kleine Glöckchen in die Hand. Es vibrierte kaum spĂŒrbar, doch sofort reagierten die Pferde. Sabrina wieherte leise, Amadeus stampfte, und selbst die jĂŒngeren Fohlen im Nebentrakt begannen zu schnauben. Dann erklang ein Ton â kein lauter, sondern ein fast flĂŒsternder Klang, der sich durch die Luft zog, weich und klar.
Alex: "Sie hören es.
Vielleicht sind sie selbst eine der Stimmen."
Tina: "Du meinst ⊠die Glöckchen reagieren auf sie?"
Alex: "Oder die Pferde singen mit."
Bibi: "Na das wĂ€r ja was â das erste Pferdekonzert von Falkenstein!"
Bibi lachte, doch der Klang der Glöckchen wurde deutlicher. Melly hob es vorsichtig an, und das metallene Licht spiegelte sich im Fell der Pferde. Das Glöckchen antwortete mit einem sanften Bimmeln â und im gleichen Moment begann Sabrina, den Kopf zu wiegen, als folge sie einem unsichtbaren Rhythmus.
Melly: "Hört ihr das? Es klingt fast wie eine Melodie."
Tina: "Nicht nur das â sie bewegen sich im Takt!"
Bibi: "Oh, das ist ja wunderschön!"
Es war, als wĂŒrden Glöckchen und Pferde miteinander sprechen â ein leises Lied, das niemand verstand, aber jeder fĂŒhlte. Der Stall war erfĂŒllt von weichem Licht, und der Schnee drauĂen fiel im gleichen Rhythmus, als tanze er dazu.
Dann wurde es still. Die Pferde senkten die Köpfe, und das Glöckchen glomm noch ein letztes Mal, bevor es ganz ruhig wurde. Nur Sabrina sah Melly kurz an, als wollte sie sagen: âWir wissen mehr, als ihr denkt.â
Melly: "Vielleicht sind die vier Stimmen gar keine Menschenstimmen."
Tina: "Sondern �"
Melly: "Etwas Lebendiges. Etwas, das Teil des Hofes ist."
Alex: "Dann sollten wir auf den Hof hören â und nicht nur auf die Glocken."
DrauĂen brach der Mond durch die Wolken. Das Glöckchen lag still in Mellys Hand, und doch war da etwas in der Luft â ein Versprechen, dass sie auf dem richtigen Weg waren.
Die Nacht war still, fast zu still. Ein kalter Wind zog ĂŒber den Martinshof, und der Schnee lag in dicken Schichten auf DĂ€chern, ZĂ€unen und BĂ€umen. Nur der Mond leuchtete hell ĂŒber dem Tal, und in seinem silbrigen Licht glitzerten die Felder wie ein Meer aus Glas.
Melly konnte nicht schlafen. Immer wieder hatte sie das GefĂŒhl, das Glöckchen wĂŒrde sie rufen â nicht laut, eher wie ein Gedanke, der zwischen Traum und Wirklichkeit schwebte. SchlieĂlich stand sie auf, zog ihre Jacke ĂŒber und schlich leise die Treppe hinunter. Der Hof war still, doch der Himmel summte.
Melly: "Ich weiĂ, du willst mir was zeigen ⊠aber was?"
Sie trat hinaus in den Schnee. Der Wind trug ein leises FlĂŒstern mit sich, kaum hörbar â und doch spĂŒrte sie, dass es eine Richtung hatte. Vom Stall her kam ein schwaches Licht, und als sie sich nĂ€herte, sah sie, dass die TĂŒr einen Spalt offenstand.
Drinnen lagen Sabrina und Amadeus ruhig in ihrem Stroh. Es roch nach Heu und Winter. Auf der Futterkiste saĂ Bibi, in eine Decke gehĂŒllt, mit einem Becher warmem Kakao in der Hand.
Bibi: "Ich hab dich schon kommen hören, Melly.
Das Glöckchen ruft dich, stimmtâs?"
Melly: "Ja ⊠es fĂŒhlt sich an, als wollte es uns etwas sagen."
Bibi: "Oder jemanden rufen."
In diesem Moment kam auch Tina verschlafen herein,
gefolgt von Alex, der sich die Augen rieb.
Tina: "Ihr seid ja schlimmer als die Eulen!
Warum steht ihr mitten in der Nacht hier?"
Melly: "Das Glöckchen ⊠es ruft wieder."
Sie nahmen das kleine Glöckchen aus Mellys Tasche. Es schimmerte in weichem, blĂ€ulichem Licht. Der Ton war kaum hörbar, aber er schien den Schnee drauĂen zum Tanzen zu bringen â jede Flocke drehte sich wie in einem unsichtbaren Takt.
Alex: "Das ist nicht nur Klang ⊠das ist Bewegung."
Tina: "Es beeinflusst den Wind!"
Bibi: "Oder der Wind singt mit!"
DrauĂen begann der Schnee dichter zu fallen. Der Wind trug Töne, die mal wie Summen, mal wie ferne Musik klangen. Und irgendwo dazwischen â wieder das helle, klare Bimmeln, als antworte eine zweite Glocke aus der Ferne.
Melly: "Da! Hört ihr das?"
Tina: "Ja â es kommt vom Wald!"
Alex: "Das ist das dritte Glöckchen!"
Bibi: "Oder das vierte! Heia hussassa â der Winter selbst spielt mit!"
Sie standen alle einen Moment lang still. Der Schnee fiel jetzt schneller, dichter, aber in seinem Rauschen lag keine KĂ€lte. Im Gegenteil â der Klang war warm, lebendig, als wĂŒrde die ganze Landschaft atmen.
Melly: "Es will, dass wir zuhören."
Tina: "Vielleicht ist das die zweite Stimme â der Wind."
Alex: "Die erste waren die Pferde ⊠die zweite der Winter."
Bibi: "Dann fehlen noch zwei!"
Das Glöckchen vibrierte noch einmal, dann wurde es still â völlig still. Selbst der Wind hielt inne, als hĂ€tte der Winter genug gesagt fĂŒr diese Nacht.
Tina: "Komm, Melly. Wir gehen besser rein, bevor Frau Martin merkt, dass der ganze Hof wach ist."
Bibi: "Zu spĂ€t â ich hab vorhin aus Versehen ihren Wecker verhext."
Alex: "Dann haben wir alle GlĂŒck, wenn sie erst in einer Stunde klingelt."
Sie lachten leise, und wĂ€hrend sie zurĂŒck ins Haus gingen, drehte sich Melly noch einmal um. Der Schnee fiel weiter, sanft und friedlich, und in der Ferne klang das letzte Echo der Glocke. Kein Ruf, kein Warnsignal â sondern eine Einladung, weiterzuhören.
Am nĂ€chsten Morgen war der Himmel grau, und ĂŒber dem Martinshof lag eine dichte, frostige Stille. Der Schnee war festgefroren, die BĂ€ume glitzerten, und aus dem Schornstein stieg Rauch in ruhigen Schwaden. Drinnen knisterte das Feuer im Kamin, und das ganze Haus roch nach Holz und FrĂŒhstĂŒck.
Frau Martin: "Kommt, Kinder, setzt euch!
Es gibt heiĂen Kakao â und Bibi, diesmal bitte ohne Hexerei beim AufwĂ€rmen."
Bibi: "Hex hex, versprochen! ... Ăhm, also fast."
Tina: "Das sagst du jedes Mal."
Melly: "Wenn Bibi den Kakao verzaubert, schwebt der Schaum wenigstens gleichmĂ€Ăig."
Alle lachten. Der Tag begann friedlich, fast normal â bis Melly bemerkte, dass das Glöckchen, das sie neben den Teller gelegt hatte, leicht vibrierte. Nur ganz schwach, aber deutlich.
Melly: "Seht ihr das? Es ⊠bewegt sich!"
Bibi: "Oh! Vielleicht willâs Kakao!"
Tina: "Oder es reagiert auf die WĂ€rme."
Alex: "Wie bei den Pferden â vielleicht ist das Feuer die dritte Stimme."
Sie schoben ihre StĂŒhle nĂ€her zum Kamin. Das Feuer flackerte, tanzte an den WĂ€nden entlang, und das Licht spiegelte sich auf der OberflĂ€che des Glöckchens. Bei jeder Bewegung des Feuers erklang ein leises, feines Klingen â so als wĂŒrde das Glöckchen den Flammen antworten.
Melly: "Hört ihr das? Es singt wirklich mit!"
Tina: "Das ist unglaublich ⊠das Feuer selbst ist eine Stimme."
Bibi: "Dann haben wir schon drei! Pferde, Winter, Feuer!"
Alex: "Und eine fehlt noch."
Eine Weile saĂen sie still da und sahen in die Flammen. Das Feuer knackte, Funken stiegen auf, und das Licht tanzte auf ihren Gesichtern. Es war, als hĂ€tte das Kaminfeuer begonnen, sich mit dem Klang der Glocke zu verweben â WĂ€rme und Ton in einem einzigen Herzschlag.
Bibi: "Wisst ihr, was ich glaube?
Vielleicht hat jedes Glöckchen seine eigene Stimme â
und sie erklingt, wenn man sie mit dem Richtigen verbindet."
Tina: "Und das Richtige sind keine Dinge ⊠sondern KrÀfte."
Melly: "Oder GefĂŒhle. Mut, WĂ€rme, Vertrauen ⊠vielleicht singen sie davon."
In diesem Moment knackte das Feuer lauter. Eine Funke sprang aus dem Kamin, fiel auf den Boden â und landete direkt vor Melly. Sie zuckte erschrocken zurĂŒck, doch der Funke verlosch nicht. Er blieb dort liegen, glĂŒhend, und formte fĂŒr einen winzigen Augenblick eine Silbe aus Licht: **âZusammen.â**
Niemand sprach. Nur das Feuer knisterte, und das Glöckchen vibrierte sanft â als hĂ€tte es genau diese Botschaft selbst gesendet.
Alex: "Drei Stimmen â und sie wollen vereint werden."
Tina: "Dann brauchen wir die vierte."
Bibi: "Und die finden wir! Hex hex und los gehtâs!"
Melly: "Aber diesmal ohne Hexerei, Bibi. Das will der Winter selbst entscheiden."
Das Feuer flackerte hell auf, als hĂ€tte es Melys Worte gehört. DrauĂen hörte der Wind fĂŒr einen Moment auf, und der Hof lag still in goldenem Morgenlicht. Es war, als hĂ€tte der Winter selbst gelĂ€chelt.
Und in der Stille klang wieder das feine Bimmeln â vertraut, freundlich, wie eine dritte Stimme, die sich der Melodie anschloss.
Der Tag nach dem Feuer war stiller als sonst. Kein Wind, kein neues Schneetreiben â nur das leise Knirschen, wenn jemand ĂŒber den Hof ging. Die Sonne lag matt ĂŒber den DĂ€chern, und der Himmel war von einem zarten, milchigen Blau.
Bibi, Tina, Melly und Alex saĂen drauĂen auf einer Bank, in Decken eingewickelt, mit dampfenden Tassen Tee in den HĂ€nden. Das Glöckchen lag auf dem Tisch vor ihnen, still und friedlich, als wĂŒrde es auf etwas warten.
Bibi: "Drei Stimmen. Und keine Ahnung, was die vierte sein soll."
Tina: "Wir haben Pferd, Wind und Feuer â was fehlt noch?"
Alex: "Wasser vielleicht? Oder Erde?"
Melly: "Vielleicht ⊠sindâs keine Elemente. Vielleicht ist es etwas anderes."
Bibi sah sie neugierig an.
Bibi: "Was meinst du?"
Melly: "Na ja ⊠jedes Mal, wenn das Glöckchen geklungen hat, waren wir zusammen.
Vielleicht reagiert es auf das, was wir fĂŒhlen."
Tina: "Freundschaft?"
Melly: "Ja. Vertrauen. Zusammenhalt. Das könnte die vierte Stimme sein."
FĂŒr einen Moment sagte niemand etwas. Der Wind strich ĂŒber die Felder, und ein Vogel flog in weitem Bogen ĂŒber den Stall. Dann lĂ€chelte Tina. Tina: "Das klingt so, als mĂŒsste manâs einfach probieren."
Sie legten ihre HĂ€nde in die Mitte â ĂŒber das kleine Glöckchen. Kein Zauberwort, kein Spruch. Nur WĂ€rme, Vertrauen und dieses leise, tiefe GefĂŒhl, dass sie alle Teil von etwas GröĂerem waren.
Erst war es still. Dann erklang ein Ton â nicht hell wie zuvor, sondern warm, rund und lebendig. Das Glöckchen begann zu leuchten, und fĂŒr einen Augenblick schien der ganze Hof mitzuschwingen. Die Pferde im Stall wieherten, der Schnee glitzerte heller, und selbst das Kaminfeuer antwortete mit einem sanften Knistern.
Alex: "Das ist es. Die vierte Stimme."
Bibi: "Die Freundschaft selbst."
Tina: "Oder das Herz hinter allem."
Melly: "Lina hatâs gewusst.
In ihrem Tagebuch stand doch: âWenn der Schnee mein Lied trĂ€gt, findet ihr den Weg.â
Vielleicht war der Weg gar kein Ort â sondern das, was uns verbindet."
Die Luft um sie herum schimmerte leicht, und der Klang der Glöckchen vereinte sich zu einer Melodie, die niemand beschreiben konnte â sanft und weit, wie das LĂ€cheln des Winters selbst.
Bibi wischte sich verstohlen eine TrÀne von der Wange.
Bibi: "Also ⊠ich hex ja sonst viel Blödsinn,
aber das hier ist der schönste Zauber, den ich je erlebt hab."
Tina: "Weil er echt ist."
Alex: "Und weil er von euch kommt."
Das Glöckchen glomm noch ein letztes Mal auf, dann legte sich wieder Ruhe ĂŒber den Hof. Kein Wind, kein Laut â nur Frieden.
Melly: "Vier Stimmen, ein Herz. Ich glaub, das warâs ⊠oder?"
Tina: "Vielleicht ⊠aber irgendwie hab ich das GefĂŒhl,
dass das Lied noch weitergeht."
Bibi: "Na, dann bleibtâs spannend!
Und bis dahin: heiĂe Schokolade fĂŒr alle!"
Sie lachten, und ĂŒber dem Martinshof schien der Schnee ein kleines, helles Echo ihres GlĂŒcks zurĂŒckzugeben. Der Winter sang weiter â leise, aber mit einem neuen Ton: dem Klang ihrer Freundschaft.
Die Nacht nach dem Glöckchenklang war friedlich. Ăber Falkenstein spannte sich ein klarer Himmel, und die Sterne funkelten, als hĂ€tten sie heimlich zugehört. Der Martinshof lag still, in warmes Licht getaucht, und selbst der Wind schien sanfter geworden zu sein.
Am Morgen glitzerte der Schnee so hell, dass man kaum die Augen öffnen konnte. Bibi, Tina, Melly und Alex standen drauĂen vor dem Stall, dick eingepackt in MĂ€ntel und Schals, und sahen zu, wie der Tag langsam erwachte.
Tina: "Irgendwie ist heute alles anders, findet ihr nicht?"
Bibi: "Ja, sogar der Schnee sieht freundlicher aus!"
Melly: "Als hÀtte er ein Geheimnis."
Alex: "Vielleicht will er uns zeigen, was die Glocken bewirken können."
Das Glöckchen hing heute an einem roten Band an Mellys Handgelenk. Es war still â kein Bimmeln, kein Leuchten â, doch sie spĂŒrte, dass es wach war. In der Sonne glomm es wie geschmolzenes Silber.
Melly: "Ich hab heute Nacht getrÀumt, dass Lina uns beobachtet.
Sie stand mitten im Schnee und lÀchelte."
Tina: "Vielleicht wollte sie Danke sagen."
Bibi: "Oder sie wollte sagen: âWeitergehen!â â ich kenn das, TrĂ€ume sind nie fertig!"
In diesem Moment verĂ€nderte sich das Licht. Eine Wolke zog vorĂŒber, und ein einzelner Sonnenstrahl fiel durch die Zweige, direkt auf den alten Apfelbaum am Ende des Hofes. Im Schnee darunter begann es zu glitzern â ganz schwach, aber klar.
Alex: "Seht mal! Da leuchtet was!"
Bibi: "Vielleicht hatâs jemand verloren?"
Tina: "Oder gefunden âŠ"
Melly: "Ich glaub, das Glöckchen will, dass wir hingehen."
Sie liefen durch den Schnee, der unter ihren Stiefeln knirschte. Je nĂ€her sie kamen, desto heller wurde das Licht. Es kam nicht von einer Lampe oder Kerze, sondern direkt aus dem Boden â dort, wo der Schnee dĂŒnner war. Melly kniete sich hin und schob die oberste Schicht vorsichtig zur Seite.
Darunter kam etwas Rundes zum Vorschein â ein kleiner Stein, glatt und hell, mit einer Einkerbung in der Mitte. Als Melly ihn berĂŒhrte, erklang ein leiser Ton â so sanft, dass man ihn fast mit dem Herz fĂŒhlte statt mit den Ohren.
Melly: "Es singt ⊠wieder."
Alex: "Vielleicht ist das der Ort, an dem alles begann."
Tina: "Oder wo alles endet."
Bibi: "Oder einfach ein Zwischenstopp! Hex hex â aber diesmal ganz vorsichtig!"
Sie beobachteten, wie der Stein schwach zu glĂŒhen begann. Das Glöckchen an Mellys Handgelenk antwortete mit einem kurzen, hellen Klang, und der Schnee rundherum begann in Kreisen zu schmelzen â nicht tief, nur so weit, dass sich darunter etwas zeigte: eine Spur aus vier kleinen Symbolen, wie eingraviert in den gefrorenen Boden.
Alex: "Das sind ⊠Zeichen?"
Tina: "Sieht aus wie vier Wellen. Oder KlÀnge."
Melly: "Vier Stimmen âŠ"
Bibi: "Dann sind wir hier genau richtig!"
Der Wind erhob sich leicht, trug Schneeflocken ĂŒber den Hof, und fĂŒr einen Moment schien der ganze Ort zu atmen â ruhig, warm, lebendig. Der Winter war kein Gegner, kein RĂ€tsel mehr. Er war ein Freund, der sie fĂŒhrte.
Tina: "Vielleicht ist das der Platz, an dem Lina das erste Mal die Glocke gehört hat."
Melly: "Oder wo sie aufgehört hat zu suchen."
Alex: "Dann sollten wir weitersuchen â aber diesmal mit offenen Herzen."
Bibi: "Und heiĂen HĂ€nden! Ich frier mir sonst gleich die Zauberzöpfe ab!"
Sie lachten, und das Licht im Schnee glomm noch ein letztes Mal auf â warm, freundlich, als hĂ€tte Lina selbst gelĂ€chelt. Dann war alles wieder still.
Doch als sie sich umdrehten, sahen sie auf dem gefrorenen Brunnenrand am Stall einen feinen Hauch aus Licht â als wollte der Winter ihnen zuflĂŒstern: **âIhr seid noch nicht am Ende.â**
Der Abend senkte sich langsam ĂŒber den Martinshof, und der Himmel fĂ€rbte sich tiefblau. Der Schnee reflektierte das letzte Licht des Tages, und zwischen den Ăsten glommen einzelne Sterne auf â wie Funken einer groĂen, unsichtbaren Laterne.
Melly stand am Fenster ihres Zimmers und sah hinaus. DrauĂen lag der Hof friedlich, doch am Rand des Waldes, dort, wo sie am Morgen das Licht gesehen hatten, glomm etwas Schwaches â wie eine kleine Flamme, die nicht verlöschen wollte.
Melly: "Da ist es wieder."
Tina: "Was meinst du?"
Melly: "Das Licht. Es flackert ⊠genau dort, hinter dem Apfelbaum."
Bibi: "Dann los! Ich hab sowieso keine Lust auf Hausaufgaben."
Alex: "In der Dunkelheit? Seid ihr sicher?"
Tina: "Wenn der Winter ruft, gehorchen wir."
Sie zogen ihre MĂ€ntel an, schnallten sich Stirnlampen um, und Bibi nahm vorsichtshalber ihren Hexenbesen mit â âfĂŒr alle FĂ€lleâ. Der Schnee war weich, und jeder Schritt knirschte. Als sie am Apfelbaum vorbeigingen, begann das Licht in der Ferne heller zu werden.
Es sah aus, als wĂŒrde es sich bewegen. Nicht wie eine Taschenlampe oder Laterne, sondern wie ein wandernder Stern, der knapp ĂŒber dem Boden schwebte. Bei jedem Flackern verĂ€nderte sich der Schnee darunter, als folge er einer unsichtbaren Spur.
Bibi: "Das ist kein normales Licht âŠ"
Alex: "Nein. Es reagiert auf uns."
Tina: "Oder auf das Glöckchen."
Melly: "Ich glaube, es will uns etwas zeigen."
Sie gingen weiter, tiefer in den Wald hinein. Das Licht glitt zwischen den BĂ€umen, wartete immer, bis sie aufgeschlossen hatten, und bewegte sich dann wieder ein StĂŒck voraus. Es war still, so still, dass sie das eigene Atmen hörten.
Tina: "Das ist fast, als wĂŒrde uns jemand fĂŒhren."
Bibi: "Vielleicht Lina. Oder jemand, der ihren Weg kennt."
Melly: "Vielleicht ist es die Erinnerung selbst."
Der Pfad fĂŒhrte sie zu einer kleinen Lichtung. Dort, wo im Sommer wilde Blumen wuchsen, lag jetzt nur Schnee â glatt und makellos. In der Mitte stand ein alter Baumstumpf, halb im Eis versunken, und auf ihm lag etwas. Ein StĂŒck Stoff. Alt, zerrissen, aber in den Falten glomm dasselbe silberne Leuchten wie das Glöckchen.
Alex: "Das sieht aus ⊠wie von einem alten Mantel."
Tina: "Oder von einem Schlittenpolster."
Bibi: "Das ist Linas Spur, ich wette drauf!"
Melly beugte sich vorsichtig hinunter, nahm das StĂŒck Stoff auf â und in diesem Moment begann das Glöckchen an ihrem Handgelenk hell zu klingen. Kein zaghaftes Bimmeln diesmal, sondern klar, krĂ€ftig, wie eine Stimme, die endlich gefunden wurde.
Der Schnee ringsherum begann zu leuchten, kleine Lichtpunkte formten Linien â ein Muster, das sich ausbreitete wie eine Karte aus Sternen. In der Mitte erschien eine leuchtende Spur, die nach Norden fĂŒhrte â in den tieferen Teil des Waldes.
Tina: "Das ist ⊠ein Weg!"
Melly: "Der Pfad des Lichts."
Alex: "Und er fĂŒhrt tiefer in den Wald."
Bibi: "Na dann â GlĂŒhschnee und ab dafĂŒr!"
Sie lachten leise, doch ihre Stimmen klangen andĂ€chtig in der kalten Luft. Der Pfad leuchtete vor ihnen auf, und der Wald schien ihnen Platz zu machen â die Ăste wie VorhĂ€nge, die sich öffneten, um sie hindurchzulassen.
Melly: "Ich glaub, das fĂŒhrt uns zu ihr.
Zu Linas letztem Ort."
Tina: "Oder zu dem, was sie uns hinterlassen wollte."
Der Wind wurde wĂ€rmer, und in der Ferne ertönte das leise, vertraute Klingen mehrerer Glöckchen â wie ein Chor aus Licht und Schnee. Die vier blickten sich an, nickten â und gingen weiter, Schritt fĂŒr Schritt, dem leuchtenden Pfad entgegen.
Ăber ihnen leuchteten die Sterne heller, als wollten sie den Weg segnen. Und irgendwo im Dunkel, kaum sichtbar, stand eine Gestalt aus Schnee und Licht â mit einem LĂ€cheln, das sie nicht sehen, aber fĂŒhlen konnten.
Der Pfad aus Licht fĂŒhrte sie tiefer in den Wald hinein, als sie je zuvor gegangen waren. Die Schneeflocken wurden gröĂer, dichter, und der Wind spielte eine Melodie, die sie nicht kannten â weich, aber mĂ€chtig, wie ein uraltes Lied der Berge.
Bibi: "Ich hab ja schon viele seltsame Sachen gehext âŠ
aber das hier? Das fĂŒhlt sich an, als wĂ€r Magie ĂŒberall!"
Tina: "Vielleicht ist sie das."
Melly: "Oder sie war schon immer hier,
nur haben wir nie hingehört."
Alex: "Das klingt, als ob der Wald selbst singt."
Sie blieben stehen. Der Wind wehte nun stĂ€rker und trug ein leises, rhythmisches Klingen mit sich â kein Zufall, kein GerĂ€usch, sondern ein Lied. Es war das gleiche Motiv, das das Glöckchen gesungen hatte, aber jetzt war es gröĂer, klarer, fast menschlich.
Melly: "Das ist Linas Lied."
Tina: "Sie wollte, dass jemand es hört."
Bibi: "Na dann â Ohren auf! Vielleicht sagt uns der Wind was!"
Sie gingen weiter, bis der leuchtende Pfad an einer kleinen Anhöhe endete. Dort stand eine alte Steinbank, halb im Schnee versunken, und dahinter ein verwittertes Schild: *âZum Lied des Nordwinds â 1872.â*
Alex: "Das Jahr, in dem Lina verschwunden ist."
Tina: "Dann ⊠war das hier ihr Ziel."
Der Wind wehte stĂ€rker, umspielte ihre Gesichter und wirbelte den Schnee auf, bis kleine Funken aus Eis in der Luft tanzten. Melly nahm das Glöckchen in die Hand â es begann zu klingen, leise, dann lauter, bis der ganze Wald davon erfĂŒllt war.
Melly: "Ich spĂŒre sie. Sie ist hier."
Bibi: "Wirklich? Ich spĂŒr nur KĂ€lte â aber schöne KĂ€lte!"
Tina: "Schaut!"
Ăber der Steinbank begann der Schnee zu glitzern. Eine Gestalt nahm Form an â nicht fest, nicht ganz sichtbar, sondern wie eine Erinnerung aus Licht und Wind. Eine junge Frau, in alten Winterkleidern, das Haar voller Schneeflocken, die nie schmolzen.
Sie sah zu ihnen hinĂŒber und lĂ€chelte. Melly: "Lina?" Die Gestalt nickte, und der Wind antwortete mit einem klaren, sanften Klang. Kein Wort, und doch verstanden sie jedes davon.
*âIhr habt das Lied gehört.â* *âVier Stimmen, ein Herz.â* *âFreundschaft ist der Klang, der die Zeit ĂŒberdauert.â*
Melly kniete im Schnee, TrÀnen glitzerten in ihren Augen. Das Glöckchen in ihrer Hand sang jetzt hell, und alle anderen Glöckchen im Wind stimmten mit ein. Es war, als erwache die ganze Welt um sie herum.
Tina: "Das war nie nur ein RĂ€tsel âŠ"
Alex: "Nein. Es war eine Erinnerung an das, was wichtig ist."
Bibi: "An Freundschaft. Und an Mut."
Melly: "Und daran, dass kein Lied endet, solange jemand zuhört."
Der Nordwind schwoll noch einmal an, hob feine SchneefĂ€den vom Boden, und in ihnen glĂŒhte kurz die Silhouette von Lina â bevor sie sich in tausend kleine Lichtpunkte auflöste, die sanft auf ihre HĂ€nde rieselten.
Dann wurde es still. Kein Wind, kein Klang â nur das Glöckchen in Mellys Hand, das noch ein letztes Mal aufleuchtete und dann still wurde, als habe es endlich Frieden gefunden.
Tina: "Das war das Lied des Nordwinds."
Melly: "Und Lina hatâs uns geschenkt."
Bibi: "Dann singen wirâs weiter â auf unsere Weise."
Alex: "Damitâs nie verstummt."
Sie standen Hand in Hand, und ĂŒber ihnen begann der Himmel zu tanzen. Polarlichter, grĂŒn und blau, flossen ĂŒber das Firmament, als hĂ€tte der Winter selbst den Pinsel gefĂŒhrt. Und irgendwo dazwischen, kaum hörbar, spielte der Wind noch einmal das alte Lied.
Der RĂŒckweg vom Wald war still. Der Wind hatte sich gelegt, und der Schnee funkelte, als hĂ€tte er selbst zugehört. Die Spuren ihrer Stiefel fĂŒhrten zurĂŒck zum Martinshof, und jedes Knirschen klang wie ein Teil des Liedes, das sie gerade erst verstanden hatten.
Tina: "Ich kannâs kaum glauben ⊠wir haben wirklich mit Lina gesprochen."
Bibi: "Und das ganz ohne Hexerei! Also fast ohne."
Alex: "Das war mehr als Magie â das war Erinnerung."
Melly: "Und ein Versprechen, dass wirâs weitersingen sollen."
Der Hof lag friedlich im Mondlicht, als sie zurĂŒckkehrten. Frau Martin wartete bereits an der TĂŒr, mit einer Laterne in der Hand und einem besorgten Blick.
Frau Martin: "Da seid ihr ja! Ich hab mir schon Sorgen gemacht.
Ihr seid ja eiskalt â kommt schnell rein, bevor ihr zu SchneemĂ€nnern werdet!"
Bibi: "Nur Schneeflocken im Herzen, versprochen!"
Tina: "Und vielleicht ein kleines Wunder."
Drinnen brannte das Feuer. Der Duft von frisch gebackenen Zimtsternen erfĂŒllte die Luft, und die WĂ€rme hĂŒllte sie ein wie eine Decke. Sie setzten sich um den Kamin, und Melly legte das Glöckchen auf den Tisch. Es war still â doch sein Glanz war heller als je zuvor.
Melly: "Ich glaube, es hat uns etwas hinterlassen."
Alex: "Ein Versprechen?"
Tina: "Dass wir zusammenbleiben, egal was kommt."
Bibi: "Und dass jedes Lied weiterklingt, wenn manâs mit dem Herzen hört."
Sie schwiegen eine Weile. Das Feuer knisterte, drauĂen fiel leise Schnee, und die Glöckchen hingen still im Fenster, bewegt nur vom Atem des Winters. Dann lĂ€chelte Melly, und in ihren Augen spiegelten sich die Flammen.
Melly: "WeiĂt du, was ich glaube?
Der Winter wollte nie, dass wir Lina finden.
Er wollte, dass wir uns finden."
Tina: "Das hast du schön gesagt."
Bibi: "Na super â jetzt hab ich GĂ€nsehaut, und das liegt nicht am Frost!"
Alex: "Vielleicht ist das die wahre Magie des Winters."
Ein leises Bimmeln ertönte â ganz ohne Bewegung, ohne Wind, nur als Antwort auf ihre Worte. Das Glöckchen glomm auf, und ein feines Muster aus Licht zeichnete sich auf dem Holztisch ab: vier kleine Symbole, die aussahen wie Pferde, Wind, Feuer ⊠und ein Herz.
Melly: "Das ist unser Zeichen."
Tina: "Die vier Stimmen, vereint."
Bibi: "Und ein Herz, das nie aufhört zu klingen."
Alex: "Dann sollten wir es bewahren."
DrauĂen begann der Schnee wieder sanft zu fallen. Kein Sturm, kein Wind â nur leise Flocken, die durch das Licht der Laternen glitten wie kleine Sterne. Der Hof schlief ein, aber in der Luft lag noch immer ein Hauch von Musik.
Bibi: "Ich wette, der Winter lÀchelt gerade."
Tina: "Und Lina auch."
Melly: "Dann lassen wirâs weiterklingen â fĂŒr sie."
Sie saĂen noch lange am Feuer, sprachen kaum ein Wort, und doch wussten sie alle, dass der Winter ihnen etwas geschenkt hatte, das kein Jahr, kein Schnee und keine Zeit nehmen konnte: **ein Lied, das in Freundschaft weitersang.**
Drei Tage nach dem Lied des Nordwinds war Falkenstein wie verzaubert. Der Schnee lag hoch, die DĂ€cher glitzerten, und die StraĂen waren mit Lichterketten geschmĂŒckt. Vom Schlossplatz her duftete es nach gebrannten Mandeln, heiĂem Apfelsaft und frisch gebackenen Waffeln.
Bibi, Tina, Melly und Alex stapften durch die Gassen, eingehĂŒllt in dicke Schals und MĂŒtzen, das Glöckchen sicher in Mellys Manteltasche. Ăberall glĂŒhte Licht in Fenstern, und Kinder lachten, wĂ€hrend Schneeflocken in ihren Haaren tanzten.
Bibi: "Oh, guckt mal, der Stand mit den Kerzen!
Da gibtâs welche, die duften nach Zimt und Hexenbesen!"
Tina: "Bibi! Es gibt keine Hexenbesen-Duftkerzen!"
Melly: "Aber Zimt! Ich liebe Zimt."
Alex: "Und da hinten ist der Musikstand.
Heute spielt der Schulchor Weihnachtslieder."
Sie mischten sich unter die Menschen, probierten gebrannte NĂŒsse, lachten ĂŒber Bibis Versuch, eine Losbude mit Hexerei zu âĂŒberredenâ, und halfen einem kleinen MĂ€dchen, das seinen Schal verloren hatte. Der Markt war voller Leben â aber in all dem Trubel lag ein Hauch von Zauber, den nur sie vier spĂŒren konnten.
Plötzlich erklang Musik. Der Chor sang *âLeise rieselt der Schneeâ*, und fĂŒr einen Augenblick war es, als wĂŒrde der ganze Platz stillstehen. Melly spĂŒrte ein Vibrieren in ihrer Tasche. Das Glöckchen â es antwortete.
Melly: "Hört ihr das? Es klingt mit!"
Tina: "Es singt mit den Menschen âŠ"
Alex: "Oder mit der Freude selbst."
Bibi: "Na siehst du, Magie steckt eben in jedem Lied!"
Der Wind wehte ĂŒber den Platz, wirbelte Schneeflocken durch die Luft, und als der Chor den letzten Ton sang, glomm das Glöckchen ein letztes Mal hell auf â wie ein kleines Licht, das still sagte: *âIch bin noch da.â*
Melly: "Ich glaube, das war Linas Abschied."
Tina: "Oder ihr Dankeschön."
Bibi: "Oder beides! Abschied mit Glitzer!"
Alex: "Dann sollten wirâs feiern â mit Waffeln und Musik."
Sie lachten, stieĂen mit heiĂen Bechern Apfelpunsch an, und sahen den Schneeflocken zu, die im Licht der Lichterketten glitzerten. Falkenstein wirkte an diesem Abend kleiner, friedlicher â und doch unendlich groĂ in seinem Zauber.
SpĂ€ter, als sie auf dem RĂŒckweg zum Martinshof waren, blieben sie kurz stehen. Der Himmel war klar, und in der Ferne konnte man das Schloss erkennen â still, wĂŒrdevoll, mit einem warmen Licht in den Fenstern.
Tina: "WeiĂt du, Bibi ⊠manchmal ist Weihnachten genau das â
einfach ein Moment, in dem alles still und richtig ist."
Bibi: "Und ein bisschen Glöckchenzauber schadet nie!"
Melly: "Ich hoffe, das Lied bleibt in uns â auch wenn der Schnee schmilzt."
Alex: "Solche Lieder schmelzen nie."
Sie gingen weiter durch den verschneiten Weg zurĂŒck zum Hof. Ăber ihnen leuchteten die Sterne, und einer funkelte besonders hell â genau dort, wo der Pfad des Lichts begonnen hatte.
Und wenn der Wind an diesem Abend ĂŒber Falkenstein wehte, klang es fast so, als wĂŒrde irgendwo in der Ferne ein kleines Glöckchen klingen. Ganz leise. Ganz vertraut.
Der Morgen des Heiligabends brach still und hell ĂŒber Falkenstein an. Der Schnee lag hoch, aber fein wie Zucker, und der Himmel war so klar, dass man die Sonne hinter den HĂŒgeln aufgehen sah. Vom Schloss her wehten die Glocken des MittagslĂ€utens, und auf dem Martinshof begann der schönste Tag des Jahres.
Im Wohnhaus duftete es nach Vanille, Tannennadeln und frisch gebackenen PlĂ€tzchen. Frau Martin summte vor sich hin, wĂ€hrend sie den Tisch mit einem rotkarierten Tuch deckte. In der Ecke funkelte ein kleiner Weihnachtsbaum â geschmĂŒckt mit Ăpfeln, goldenen Strohsternen und kleinen Glöckchen, die sanft bimmelten, wenn jemand vorbeiging.
Frau Martin: "Bibi, bitte nicht so viel Zuckerguss naschen!"
Bibi: "Ich probiere nur, ob der Geschmack magisch genug ist!"
Tina: "Dann bist du gleich selbst die Zuckerstange."
Melly: "Ich finde, sie passt farblich gut zum Baum!"
Alex: "Oder zur Tischdecke!"
Sie lachten alle, und das ganze Haus schien mitzuschwingen. DrauĂen scharrten die Pferde im Stall, als spĂŒrten sie die festliche Stimmung, und in der Ferne glitzerte das Schloss im Sonnenlicht.
Melly stellte eine kleine Schale mit Haferkeksen neben die TĂŒr.
Melly: "FĂŒr die Pferde â sie sollen ja auch was vom Fest haben."
Tina: "Das ist sĂŒĂ von dir."
Bibi: "Und wenn sie brav sind, hex ich ihnen glitzerndes Stroh â ganz ohne Nebenwirkung!"
Tina: "Bibi âŠ"
Bibi: "Schon gut, schon gut!"
Gegen Nachmittag fĂ€rbte sich der Himmel rosa, und ĂŒber dem Hof lag eine sanfte Ruhe. Alle Vorbereitungen waren getan: der Baum geschmĂŒckt, das Abendessen vorbereitet, und im Kamin brannte das Feuer ruhig und warm.
Alex: "WeiĂt du, was mir auffĂ€llt?
Seit das Glöckchen auf dem Tisch liegt, ist es, als wÀr alles ⊠friedlicher."
Melly: "Ja. Es klingt nicht, aber irgendwie ist es da."
Tina: "Vielleicht ist das der wahre Klang â Stille, die sich gut anfĂŒhlt."
Bibi: "Oh, das war poetisch, Tina! Schreibâs auf, bevor duâs vergisst!"
Die Sonne versank langsam hinter den HĂŒgeln, und das goldene Licht fiel durch die Fenster. Der ganze Raum leuchtete in warmem Orange, und fĂŒr einen Moment war es, als hielte die Zeit den Atem an.
DrauĂen begann der Abend zu glĂŒhen. Amadeus und Sabrina standen friedlich Seite an Seite, wĂ€hrend der Schnee sanft ĂŒber sie hinwegfiel. Das Glöckchen auf Mellys Handgelenk glomm schwach â als wollte es den Moment bewahren.
Melly: "Ich glaub, Lina ist da â nicht zum Sehen, aber zum FĂŒhlen."
Bibi: "Ja. Ich spĂŒr sie auch. So wie ⊠Musik, die bleibt."
Tina: "Dann feiern wir fĂŒr sie mit."
Alex: "Und fĂŒr alle, die an Magie glauben."
Sie standen fĂŒr einen Moment schweigend zusammen, wĂ€hrend drauĂen die erste Weihnachtsglocke vom Schloss erklang. Ein tiefer, warmer Ton, der ĂŒber die HĂŒgel rollte und im Schnee widerhallte. Dann sahen sie sich an â und wussten, dass der Heiligabend begonnen hatte.
Bibi: "Frohe Weihnachten, ihr Zauberherzen."
Tina: "Frohe Weihnachten, Bibi."
Melly: "Und danke, dass ich hier sein darf."
Alex: "Es gibt keinen besseren Ort fĂŒr Weihnachten."
Sie umarmten sich, und in der Ferne, ĂŒber den BĂ€umen, funkelte der Himmel heller als je zuvor. Der Winter atmete tief ein â und lĂ€chelte.
Es war spĂ€t geworden auf dem Martinshof. DrauĂen glitzerte der Schnee im Mondlicht, und im Haus brannten nur noch die Kerzen am Baum. Das Feuer im Kamin war fast heruntergebrannt, doch seine Glut warf noch sanfte, tanzende Schatten an die WĂ€nde.
Bibi, Tina, Melly und Alex saĂen zusammengerĂŒckt auf dem Sofa. Zwischen ihnen lag das Glöckchen â still, glĂ€nzend, wie ein schlafendes Herz aus Silber. Niemand sprach mehr viel. Es war die Art von Stille, die sich warm anfĂŒhlt, weil sie voller Erinnerungen steckt.
Melly: "Wisst ihr ⊠ich glaub, ich hab verstanden, was Lina meinte."
Tina: "Mit den vier Stimmen?"
Melly: "Ja.
Die Welt redet nicht mit Worten.
Sie spricht mit allem, was lebt â dem Wind, dem Feuer, dem Schnee ⊠und uns."
Bibi: "Dann sind wir wohl Teil der Geschichte geworden."
Alex: "Oder die Geschichte hat uns gefunden."
Der Wind strich leise ĂŒber das Dach, und fĂŒr einen Moment glaubten sie, drauĂen ein leises Klingen zu hören â nicht laut, nicht nah, sondern irgendwo weit ĂŒber den Feldern, als wĂŒrde jemand in der Ferne singen.
Bibi: "Ich schwör, ich habâs gehört!"
Tina: "Ich auch ⊠das war Linas Lied."
Melly: "Oder vielleicht unser eigenes."
Das Glöckchen begann zu leuchten â nicht hell, sondern wie ein Flackern von Kerzenschein, das von innen kam. Ein dĂŒnner Strahl aus Licht stieg daraus empor und bildete ĂŒber dem Tisch eine Form â ein kleiner, silbriger Stern.
Alex: "Ein Stern ⊠aus dem Glöckchen!"
Bibi: "Der ist ja wunderschön!"
Tina: "Schaut â er bewegt sich!"
Der Stern schwebte langsam durch den Raum, drehte sich ein paarmal, und blieb dann ĂŒber dem Weihnachtsbaum stehen. Einen Moment lang schien die Zeit zu frieren â dann senkte sich der Stern hinab und setzte sich sanft auf die Spitze des Baums. Er glomm auf â hell, warm, friedlich.
Melly: "Das ist Linas Geschenk."
Tina: "Damit das Licht nie ausgeht."
Bibi: "Ich glaub, das ist das schönste Weihnachtswunder ĂŒberhaupt."
Alex: "Und das ehrlichste â kein Zauber, kein Trick. Nur Liebe."
Das Glöckchen war nun ganz ruhig. Es lag still auf dem Tisch, und doch hatte es etwas hinterlassen: Eine WĂ€rme, die den ganzen Raum erfĂŒllte â so, als wĂŒrde die Nacht selbst ĂŒber sie wachen.
DrauĂen fielen die letzten Schneeflocken leise vom Himmel. Der Mond stand ĂŒber den Wiesen, und das Schloss leuchtete fern im Tal. In diesem Moment war alles verbunden â Hof, Wald, Himmel und Herz.
Melly: "Ich wĂŒnsch mir, dass das nie vergeht."
Tina: "Es vergeht nie, wenn manâs bewahrt."
Bibi: "Und jedes Mal, wennâs Glöckchen klingelt, erinnertâs uns daran."
Alex: "Dann hörtâs nie auf zu singen."
Sie saĂen noch eine Weile da, bis die Kerzen herunterbrannten und das letzte Licht der Glut im Kamin erlosch. Der Stern auf dem Baum leuchtete weiter, still und geduldig, als wĂŒsste er, dass der wichtigste Tag erst noch kam.
Der Morgen des 24. Dezember begann still. Kein Wind, kein Laut, kein Glockenschlag â nur das weiche Leuchten des Schnees, der ĂŒber Nacht die Welt noch einmal neu bemalt hatte. Auf dem Martinshof lag eine Ruhe, die nicht leer war, sondern voller Erwartung â wie der Atem der Welt kurz bevor etwas Wunderschönes geschieht.
Im Stall war es warm. Sabrina, Amadeus und die anderen Pferde standen friedlich in ihren Boxen, kauten genĂŒsslich Heu und schnaubten in gleichmĂ€Ăigem Rhythmus. Durch die kleinen Fenster fiel das Licht der aufgehenden Sonne, und es glitzerte auf jedem Halm, auf jedem Hauch Atemdampf.
Tina: "Na ihr, habt ihr gut geschlafen?"
Bibi: "Ich glaub, sie wissen, was heute ist."
Melly: "Heiligabend. Der Tag, an dem sogar der Wind innehÀlt."
Alex: "Und an dem jedes Glöckchen seinen schönsten Ton spielt."
Sie legten frisches Stroh auf, fĂŒllten Wasser und streuten eine Handvoll Haferkekse â ein kleines Weihnachtsgeschenk fĂŒr die Pferde. Dann gingen sie gemeinsam hinaus auf den Hof. Ăber den Feldern stieg Nebel auf, und die Sonne stand tief, als wolle sie den Schnee selbst zum Strahlen bringen.
Auf dem KĂŒchentisch lag das Glöckchen, still und klar wie ein Tropfen aus Licht. Frau Martin hatte es auf ein Tuch aus Leinen gelegt, direkt unter den Weihnachtsbaum. Daneben standen vier kleine Geschenke, jedes mit einem Namensschild und einer Schleife.
Frau Martin: "Das hier ist fĂŒr euch â
weil ihr den Winter schöner gemacht habt, als er es allein je gewesen wÀre."
Bibi: "Oh Frau Martin, das haben wir doch alle zusammen geschafft!"
Tina: "Und ohne das Glöckchen wĂ€râs nie passiert."
Melly: "Oder ohne uns."
Alex: "Und ohne Freundschaft sowieso nicht."
Sie setzten sich um den Tisch. DrauĂen fielen wieder Schneeflocken â leise, gleichmĂ€Ăig, als hĂ€tte der Himmel beschlossen, mitzufeiern. Und dann, ganz plötzlich, begann das Glöckchen zu klingen. Nicht laut, nicht schrill â sondern in einem Ton, der sich anfĂŒhlte wie eine Umarmung.
Der Klang breitete sich im Raum aus, lieĂ die Kerzen leicht flackern und das Licht tanzen. Es war, als sĂ€nge das Glöckchen ein Lied, das nur an diesem einen Tag erklingen durfte â ein Lied aus WĂ€rme, Erinnerung und Freude.
Bibi: "Das istâs ⊠das Lied von Weihnachten!"
Tina: "Hör nur, wie schön es klingt."
Melly: "Ich glaub, es singt fĂŒr Lina."
Alex: "Und fĂŒr uns alle."
Sie hielten sich an den HĂ€nden, und der Klang wurde heller, weiter, bis er fast die ganze Welt zu erfĂŒllen schien. DrauĂen wieherten die Pferde, als wĂŒrden sie mitsingen, und selbst der Wind trug den Ton weiter hinaus ĂŒber die Felder.
Die Schneeflocken glĂŒhten im Sonnenlicht, und fĂŒr einen Herzschlag lang war es, als schwebten winzige Noten zwischen ihnen â das Lied, das Lina einst begonnen hatte, nun vollendet durch jene, die an das Gute glaubten.
Melly: "Das Lied wird bleiben."
Tina: "Solange wirâs weitersingen."
Bibi: "Und wennâs Glöckchen schweigt â dann singt der Winter fĂŒr uns."
Alex: "Oder unser Herz."
Sie saĂen noch lange beisammen. Das Feuer knisterte, die Pferde schnauften leise im Stall, und der Abend legte sich golden ĂŒber den Hof. Kein Wunder, kein Zaubertrick â nur Freundschaft, WĂ€rme und die Musik des Lebens selbst.
Und als die erste Nachtkerze verlöschte, klang es drauĂen noch ein einziges Mal: Bibi: "Hört ihrâs?" Tina: "Ja âŠ" Melly: "Das Lied von Weihnachten."
Das Glöckchen schwieg, doch sein Echo blieb. Nicht im Raum, sondern in ihren Herzen â hell, klar und ewig.
**Frohe Weihnachten auf dem Martinshof.** Und irgendwo, ganz weit oben, zwischen Sternen und Schnee, lÀchelte Lina.
Test
Test
Test
Test
Ah Ah Ah, nicht so voreilig.
Dieser Tag ist noch nicht an der Reihe !,
Du muss dich noch ein wenig Gedulden.